Frohe Weihnachten!

„Großer Gott, wir loben dich“ – dies war eines der Lieder, mit denen sich Angela Merkel mit militärischem Zeremoniell aus dem Amt als Bundeskanzlerin verabschieden ließ. Man könnte nun darüber diskutieren, ob man einen Choral einer Militärkapelle überantworten sollte. Oder darüber, ob ein religiöses Lied in einem mehr oder weniger säkularen Staat überhaupt das Richtige für die Verabschiedung einer Regierungschefin ist. Das könnten ziemlich kontroverse Diskussionen werden…

Christliche Konfessionen in Deutschland

Dabei hat Angela Merkel das Lied „Großer Gott, wir loben dich“ sicherlich nicht ausgesucht, um zu spalten, sondern um zu verbinden. „Großer Gott, wir loben dich“ ist nämlich, wie die Journalistin Anja Maier in der Wochenzeitung DIE ZEIT bemerkt, ein „ökumenischer Gassenhauer für alle Lebenslagen“ – ein Lied also, dass sowohl bei Katholiken als auch bei Protestanten beliebt ist. Ursprünglich wurde es nur in der katholischen Kirche gesungen, im 19. Jahrhundert übernahmen es auch protestantische Gemeinden.

Obwohl Religion im Alltag vieler Menschen in Deutschland keine wichtige Rolle spielt, sind die Unterschiede zwischen den beiden großen Konfessionen bis heute bemerkbar. Zum Beispiel gibt es katholische und evangelische Schulen und Kindergärten, und auch an öffentlichen Schulen findet der Religionsunterricht in manchen Bundesländern nach Konfessionen getrennt statt.

Katholische und evangelische Weihnachtstraditionen

Jetzt, in der Weihnachtszeit, vermischen sich katholische und evangelische Traditionen. Der Nikolaus zum Beispiel kommt auch zu evangelischen Kindern – obwohl Martin Luther vom Kult um Heilige gar nichts hielt. Den Nikolaus wollte er durch das „Christkind“ ersetzen, das am Heiligabend die Geschenke brachte. Heute teilt sich das Christkind diese Aufgabe mit dem Weihnachtsmann – in evangelisch ebenso wie in katholisch geprägten Regionen.

Auch viele Weihnachtslieder sind an keine Konfession gebunden. Manche aber sind es doch. Zum Beispiel „Heiligste Nacht“. Dieses Lied wünschte sich meine evangelisch getaufte Großmutter immer zu Weihnachten – allerdings nicht für sich selbst, sondern für meine katholischen Großeltern, die Heiligabend bei ihr zu Gast waren. „Heiligste Nacht“ hat es irgendwie nie in evangelische Messen geschafft – auf den Weihnachtsfeiern unserer Familie durfte es dagegen nicht fehlen, denn die katholischen Gäste sollten sich willkommen fühlen. Heute wirkt eine solche Geste antiquiert, und vielleicht war sie es auch damals schon. Für die Generation meiner Großeltern jedoch waren Konfessionen keinesfalls eine Banalität – und so war auch die Sache mit dem katholischen Weihnachtslied nicht banal.

Freche Parodien

Genug des Pathos – Weihnachtslieder laden schließlich nicht nur zu Betrachtungen über die im Glauben oder eben auch nur im Gesang vereinte Christenheit ein, sondern auch zu frechen Parodien. Da wäre zum Beispiel der Klassiker „Oh Tannenbaum“, in dem es eigentlich um die Schönheit eines Tannenbaums geht. Alternativ singt man aber auch gern: „Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, / Die Oma liegt im Kofferraum. / Der Opa macht den Deckel zu, / Nun hat er endlich seine Ruh‘.“

Mein Opa hatte Weihnachten keine Ruh‘, denn spätestens nach dem zweiten Likör sang meine Oma eine Parodie des eigentlich sehr feierlichen Weihnachtsliedes „Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen“. „Am Weihnachtsbaume, da hängt ‘ne Pflaume, / Wer hat die Pflaume drangehängt? / Das war mein Bruder, das dumme Luder, / Der hat die Pflaume drangehängt.“ So sang meine katholische Großmutter. Und ob katholisch, evangelisch oder atheistisch – wir alle hatten unseren Spaß daran.

Wie auch immer ihr die Weihnachtstage verbringt – wir wünschen euch eine erholsame Zeit und einen guten Rutsch ins neue Jahr!

Herbstlicher Laubregen von Komposita

Poesie oder Wortmonster? Meine Bekannten sind gar nicht glücklich über das Ende des Sommers: Vorbei die Zeit der Picknicks, der Grillpartys, der Nachmittage am See – nur noch allgemeines Absterben. Aber hat nicht gerade die Melancholie des Herbstes ihren Zauber? Keine andere Jahreszeit hat deutschsprachige Dichterinnen und Dichter mehr inspiriert. Und kommt man nicht selbst in poetische Stimmung, wenn man im goldenen Oktober spazieren geht? Die dunkelvioletten Astern, die purpurroten Blätter, der zartblaue Himmel – ach!

Na gut, das waren jetzt eher Klischees als Poesie. Doch auch in den Klischees zeigt sich ein Charakteristikum der deutschen Sprache: Man kann mit ihr Neues kreieren, indem man verschiedene Wörter zu einem verbindet. Mark Twain hat sich in seinem Essay „Die schreckliche deutsche Sprache“ über die Wortmonster lustig gemacht, die dabei entstehen können: „Manche deutschen Wörter sind so lang, dass man sie nur aus der Ferne ganz sehen kann“, kommentiert er die deutsche Begeisterung für Komposita.

Fugenelemente: Deutsch lernen, um die Wortmonster zu erschlagen

Eigentlich haben Komposita eine sprachökonomische Funktion. „Purpurrote Ahornblätter“ geht schneller als „Blätter, die so rot wie Purpur sind“. Trotzdem fragte sich 1999 wohl manche Zeitungsleserin, ob in der Redaktion die Leerzeichentaste klemmte, als über die Verabschiedung des „Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetzes“ berichtet wurde. 2013 wurde das Gesetz abgeschafft. Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftlern bereitet es aber immer noch Freude.

Im Gegensatz zu anderen Komposita besteht das Wort „Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz“ ausschließlich aus Substantiven, von denen manche mit, andere ohne Fugenelement verbunden wurden. Fugenelemente sind so etwas wie der Klebstoff zwischen zwei Wörtern. Im Wort „Fugenelement“ werden zum Beispiel die Wörter „Fuge“ und „Element“ mit einem kleinen -n- aneinandergeklebt. Im „Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz“ finden wir als Fugenelement dreimal das kleine -s-, das man nach -ung und -ion einsetzt. Es gibt ziemlich viele Fugenelemente. Im bietet dazu sprachgeschichtliche Erklärungen an – trotzdem weiß man manchmal nicht, welches man gerade braucht. Die gute Nachricht ist: Meistens braucht man gar keins.

Wenn man etwa ein Verb und ein Substantiv zusammenfügt, wie in dem Wort Klebstoff. Hier wird einfach der Verbstamm (Kleb-) mit dem Substantiv (Stoff) verbunden.

Auch Adjektive verbindet man ohne Fugenelemente miteinander – wir erinnern uns an die dunkelvioletten Astern und den zartblauen Himmel. Auch wenn ein Substantiv und ein Adjektiv kombiniert werden, braucht es normalerweise kein Fugenelement – egal, ob die Blätter nun purpurrot, feuerrot, blutrot, scharlachrot oder weinrot sind. 

Spaß mit Komposita

In „Ödipussi“ (1988), einem Spielfilm des großartigen Humoristen Loriot, streiten der Vertreter eines Textilhandels und eine Psychologin über eine geeignete Farbe für das Sofa eines depressiven Ehepaars. Während die Psychologin für „ein frisches Gelb, ein Apfelgrün“ plädiert, freut sich der Geschäftsmann über den Wunsch des Ehepaars, das Sofa grau beziehen zu lassen – denn er hat eine Kollektion von 28 Grautönen: mausgrau, staubgrau, aschgrau, steingrau, bleigrau, zementgrau…  

Ob diese graue Vielfalt gegen die Depression helfen wird? Zumindest zeigt sie: Komposita finden wir nicht nur in der Sprache der Bürokratie. Sie können uns auch zu kuriosen Wortschöpfungen inspirieren. Probiert es selbst aus: Kreiert bei eurem nächsten Spaziergang im Park Komposita für eure Umgebung. Ich jedenfalls gehe jetzt erst einmal das sonnengelbe Laub bewundern, das sich in den kristallklaren Teichen im Volkspark Rehberge spiegelt. Okay, die Teiche sind eigentlich schlammbraun – aber schlammbraun ist auch ein Kompositum.

Deutsch lernen mit Vielfalt

Ich bin sicher: Im Volkspark Rehberge, der ja selbst aus zwei Komposita besteht, werde ich auf Kombinationsmöglichkeiten aller Art treffen – manchmal treffe ich dort sogar einen rauflustigen (Verb + Adjektiv) Waschbären (Verb + Substativ), der die moosgrünen (Substantiv + Adjektiv) Mülleimer (Substantiv + Substantiv) inspiziert – besser, als wenn er die blassblauen (Adjektiv + Eier) des Rotkehlchens (Adjektiv + Substantiv) stiehlt…

Machen Sie mit All on Board einen Spaziergang durch die deutsche Sprache. Melden Sie sich für unseren neuen B2-Kurs an: www.allonboard.de

 

 

Umgangssprache lernen mit geiler Mucke

Beim letzten Mal ging es hier um kuriose deutsche Wörter. Besonders kurios sind im Deutschen Tiernamen: Schmetterling, Eichhörnchen – Tiere, nach denen man Panzer benennen könnte, wenn es dabei nur um phonetische Aspekte ginge. Ein wirklich bösartiges Tier dagegen ist der Ohrwurm.

All on board Ohrwurm

Streng genommen ist der Ohrwurm gar kein Tier, sondern nur eine Tiermetapher. Ein Ohrwurm ist ein Lied, das einem einfach nicht aus dem Kopf geht. Ein Lied wie „Last Christmas“. Wahrscheinlich genügt schon der Titel des Songs und ihr werdet die Melodie nicht mehr los – dabei haben wir Juli! Sorry, wenn ihr jetzt den Rest des Tages an George Michael denken müsst. Manchmal ist Didaktik eben brutal.

Umgangssprache in der Popmusik

Ein Ohrwurm, der besser zur Jahreszeit passt, ist „Ab in den Süden“ von DJ Buddy. Das Lied ist schrecklich, aber es enthält viele umgangssprachliche Redemittel, die in keinem Lehrbuch stehen und die ihr im Kopf behalten werdet, wie ihr „Ab in den Süden“ im Kopf behalten werdet.

„Den ganzen Tag am Strand ziehen wir uns die Melonen rein“ ist so ein Beispiel für Umgangssprache. Was bitte machen die mit den Melonen? Nichts Besonderes, sie essen sie. Sich was reinziehen kann auch allgemeiner bedeuten: etwas konsumieren. Auch geile Mucke kann man sich reinziehen. Geile Mucke ist Musik, die gute Laune macht.

„Ab in den Norden“

Ob „Ab in den Süden“ geile Mucke ist, darüber lässt sich streiten. Als der Song 2003 bekannt wurde, war in Norddeutschland eher „Ab in den Norden“ populär – diese Version des Songs hat DJ Buddy freundlicherweise gleich mitgeliefert. Auf verregneten Gartenpartys sangen wir trotzig: „Die Sonne scheint auch hier, ‚ey jo, was geht?‘, im Norden bleiben wir, ‚ey, jo, was geht?‘“

„Was geht?“ heißt ungefähr „Was passiert hier gerade?“ Auf den verregneten Gartenpartys meiner Kindheit wäre die ehrliche Antwort gewesen: „Nix los hier.“ Aber wir versuchten, aus der norddeutschen Tristesse das Beste zu machen. Also sangen wir: „Tequilla, Tequilla, Tequilla, wunderbar, und heute Nacht machen wir die ganze Insel klar.“ Einen Ort klar oder auch unsicher machen, bedeutet, dort wild zu feiern oder von Bar zu Bar zu ziehen.

„Heute Nacht machen wir die ganze Insel klar“ – nun ja, die kleinen Inseln an der deutschen Nordseeküste sind eher ein Seniorenparadies als ein Party-Hotspot. Egal, wir sangen trotzdem: „Ab geht die Party und die Party geht ab!“ Das heißt: Die Party läuft.

Überraschende Entdeckungen in Songtexten

Interessant an dieser Zeile ist die Inversion, also die veränderte Position des Präfixes „ab“ aus dem Verb abgehen. Die Inversion ist ein heute eher veraltetes Stilmittel, das man oft in der Literatur des 19. Jahrhunderts findet. Wie hat sich dieses Stilmittel bloß in DJ Buddys Ohrwurm verirrt? Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Aber es zeigt: In der Popmusik gibt es einiges zu entdecken.

Geht doch auch mal auf eine sprachliche Entdeckungsreise in der Musik. Ob sie nun in den Süden, in den Norden oder vielleicht doch eher zu renommierten deutschsprachigen Rap-Künstlerinnen- und Künstlern wie Sookee, Lady Bitch Ray, Peter Fox oder Danger Dan führt – mit geiler Mucke ist Deutschlernen der Hammer!