Beamtendeutsch

Über eine unbeliebte Varietät des Deutschen, die auch auch Muttersprachler*innen manchmal zur Verzweiflung bringt.

Als Sprachlehrer komme ich manchmal in eine peinliche Situation: Lernende zeigen mir ein Schreiben vom Amt, damit ich ihnen sage, was drinsteht – und ich verstehe selbst kein Wort. Doch, doch, diese Schreiben sind auf Deutsch verfasst – allerdings auf Beamtendeutsch, und damit tue auch ich mich schwer. So schwer, dass ich mich über diesen verdammten Jargon ärgere – deshalb nenne ich ihn auch nicht respektvoll „Verwaltungssprache“, sondern „Beamtendeutsch“. Das Wort bezeichnet laut Duden eine „unlebendige, unanschauliche, oft langatmige und verschachtelt konstruierte trockene Ausdrucksweise“.

Lexikalische Kuriositäten

Präzise und rechtssicher soll die Sprache der Behörden sein – schön und gut, aber muss man eine Treppe deshalb „höhengewinnende Stufenanlage“ nennen? Kuriositäten wie die „höhengewinnende Stufenanlage“, das „raumübergreifende Großgrün“ (Baum) oder die „Raufutter verzehrende Großvieheinheit“ (Kuh) sind auch in der Sprache der Bürokratie nicht die Regel. Dennoch ist sie voller lexikalischer Besonderheiten – warum sonst hätte der Wörterbuchverlag Pons eine Liste mit den „wichtigsten Vokabeln fürs Amt“ zusammengestellt? https://de.pons.com/p/wissensecke/wortschatz-to-go/beamtendeutsch

Das Passiv – die Leideform

Doch nicht nur der Wortschatz macht die gefürchtete Post vom Amt zur sprachlichen Herausforderung. Auch die Grammatik hat es in sich. Da wäre zum Beispiel das Passiv – auch „Leideform“ genannt. Wem einmal ein behördliches Schreiben zugestellt wurde, in dem so viele Passivkonstruktionen verwendet wurden, dass keinerlei Textverständnis hergestellt werden konnte – ja, der weiß, was das Passiv mit Leid zu tun hat. Reduzieren könnt ihr das Leid, indem ihr den Text für euch umformuliert: Macht das Passiv zum Aktiv.

Gern genutzte, herausfordernde, nicht leicht zu verstehende Partizipien

Typisch Beamtendeutsch sind auch Partizipien, vor allem in attributiver Funktion. Das bedeutet, dass sie vor einem Substantiv stehen und wie ein Adjektiv dekliniert werden. Das Partizip I gebildet, indem man den Infinitiv eines Verbs um ein d ergänzt: schlafen – schlafend.  Es beschreibt einen aktuellen Vorgang: Ein Schreiben, das irritiert, ist ein irritierendes Schreiben. Oft ist sind Partizipialkonstruktionen kürzere Alternativen zu Relativsätzen. Leichter zu verstehen sind sie nicht unbedingt – vor allem nicht, wenn sie lange Ergänzungen mit sich führen. Ein Schreiben, das durch seine komplizierten Partizipialkonstruktionen irritiert, ist beispielsweise ein durch seine komplizierten Partizipialkonstruktionen irritierendes Schreiben.

Das Partizip II dagegen beschreibt Handlungen, die bereits abgeschlossen sind. An Antrag, der bereits bearbeitet wurde, ist ein bearbeiteter Antrag. Bearbeitete Anträge sind in deutschen Behörden allerdings selten. Dafür gibt es umso mehr Anträge, die noch darauf warten, bearbeitet zu werden. Hier kommt das Gerundiv, auch zu-Partizip, ins Spiel: Ein Antrag, der noch bearbeitet werden muss, ist ein noch zu bearbeitender Antrag.

Substantivierungen – wie aus schönen Prinzen hässliche Frösche werden

Beamtendeutsch hat noch mehr Verwirrendes in petto – zum Beispiel Substantive. Klar, Substantive benutzen wir auch, wenn wir ganz normal sprechen. Auf Beamtendeutsch ließe sich aber kontern: Beim normalen Sprechen erfolgt durch die Benutzung von Substantiven nicht die Eliminierung bedeutungstragender Verben. Viele Wörter in behördlichen Schreiben haben ein ähnliches Schicksal wie der Froschkönig aus dem Märchen der Gebrüder Grimm: So wie er ein schöner Prinz war, bevor eine böse Hexe ihn in einen hässlichen Frosch verwandelte, so waren sie schöne Verben, bevor ein böser Beamter sie in ein hässliches Substantiv verwandelte. Könnt ihr sie zurückverwandeln? Küssen hilft leider nicht…

Humor hilft

A propos Märchen: Eine der berühmtesten Parodien auf die leblose Sprache deutscher Behörden heißt Rotkäppchen auf Amtsdeutsch (https://www.zeit.de/1984/52/rotkaeppchen-auf-amtsdeutsch). „Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute“, lautet die Formel, mit der die Gebrüder Grimm ihre Märchen schließen. Der Schriftsteller Thaddäus Troll macht daraus: „Wenn die Beteiligten nicht durch Hinschied abgegangen und in Fortfall gekommen sind, sind dieselben derzeitig noch lebhaft.“

Immerhin: Behörden bieten ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern inzwischen Kommunikationsschulungen an. Illusionen sollte man sich deshalb nicht machen: In einem Handbuch mit dem Titel Bürgernahe Verwaltungssprache (https://www.bva.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Oeffentlichkeitsarbeit/Buergernahe_Verwaltungssprache_BBB.pdf?__blob=publicationFile&v=6), 2002 vom Bundesverwaltungsamt herausgegeben und online verfügbar, heißt es über die „[K]leinste gemeinsame Verständigungsbasis“ für die Kommunikation zwischen Behörden und Bürger*innen: „Sie reicht für die Verständigung nicht immer aus.“

Versuchen wir, es mit Humor zu nehmen – wie das geht, zeigt Thaddäus Troll.

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Karl Kelschebach möchte Lernende nicht nur mit den Absonderlichkeiten der deutschen Sprache versöhnen, sondern auch ihre Neugier auf die Kuriositäten des Lebens in Deutschland wecken. Ob Spargel, Beamtendeutsch oder die Deutsche Bahn - nichts ist vor seiner flotten Feder sicher. Über manches schreibt er liebevoll, über anderes biestig - aber eine Prise Humor ist immer dabei.

Karl Kelschebach not only wants to reconcile learners with the peculiarities of the German language, but also arouse their interest in the curiosities of life in Germany. Whether it's asparagus, administrative language or the German railway - nothing is safe from Karl's quick pen. He writes tenderly about some things, and meanly about others - but there is always a pinch of humour.

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