Die Hauptstadtfrage

Mehrere meiner Freund*innen sind von Berlin nach Bonn gezogen. Warum haben sie gerade dort gute Jobs gefunden? Die Antwort liegt in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Mehr als ein Städtchen am Rhein

Gleich drei meiner Freund*innen sind in den letzten zwei Jahren von Berlin nach Bonn gezogen. Für alle, die Bonn nicht kennen: Das ist eine mittelgroße Stadt am Rhein. Der amerikanische Schriftsteller John le Carré charakterisierte Bonn so: „Wie der Zentralfriedhof von Chicago, aber doppelt so tot.“ Der Liedermacher Sebastian Krämer bemerkte zu Bonn: „Manche wissen gar nicht, dass es diese Ortschaft überhaupt noch gibt.“

Doch, doch es gibt diese Ortschaft noch! Und nicht nur das: Meine Freund*innen haben dort gut bezahlte Jobs gefunden. Nicht für den Rhein, sondern für ihre Karriere haben sie Berlin verlassen. Viele wichtige öffentliche Institutionen haben ihren Sitz nämlich in Bonn – sogar sechs Ministerien. Überbleibsel aus der Zeit, als Bonn Bundeshauptstadt war.

Frankfurt oder Bonn?

Berlin, die ehemalige Hauptstadt des Deutschen Reiches, war nach dem Zweiten Weltkrieg in verschiedene Besatzungssektoren eingeteilt – und spätestens, nachdem die Sowjetunion die von den USA, Großbritannien und Frankreich kontrollierten Sektoren militärisch abgeriegelt hatten, war klar: Ein einiges Deutschland mit Berlin als Hauptstadt würde es so bald nicht geben. Die BRD, der westdeutsche Staat, der gerade entstand, musste sein politisches Zentrum verlegen. Wohin? Zwei Städte kamen in die engere Auswahl: Frankfurt und Bonn.

Die Vorteile Frankfurts lagen auf der Hand: Die Stadt befand sich in einem Ballungszentrums, mehr oder weniger in der Mitte des neuen deutschen Staates. Historisch stand sie für demokratischen Aufbruch, hatte doch in der Frankfurter Paulskirche 1848/1849 die Nationalversammlung getagt, um eine Verfassung für ein freiheitliches Deutschland zu entwickeln. Der Frankfurter Oberbürgermeister Walter Kolb hatte 1949 also gute Gründe anzunehmen, seine Stadt werde sich gegen Bonn durchsetzen – und so ließ er seine Dankesrede zur Wahl Frankfurts bereits einen Tag vor der Abstimmung aufnehmen, damit sie rechtzeitig im Radio zu hören sei.

Bonn – nur eine provisorische Lösung?

Und dann wurde es doch Bonn. Was sprach für Bonn? Böse Zungen sagen: Eigentlich nichts, außer dass Bundeskanzler Konrad Adenauer sein geliebtes Rheinland nicht verlassen mochte. Tatsächlich agitierte er leidenschaftlich für Bonn – auch mit manipulativen Methoden. Selbst Korruption soll im Spiel gewesen sein.

Um fair zu bleiben: Es gab durchaus vernünftige Argumente, wichtige Institutionen der jungen BRD in Bonn einzurichten. Zum einen war die Stadt im Krieg weitgehend unzerstört geblieben. Zum anderen unterstrich die Wahl, dass man langfristig eben doch auf einen einigen deutschen Staat mit Berlin als Hauptstadt hoffte. Welches Land will schon auf Dauer ein Provinzstädtchen als Hauptstadt? Bonn war offenkundig eine vorübergehende Lösung. Die eigentliche Hauptstadt blieb Berlin – so jedenfalls die optimistische Perspektive der frühen Nachkriegsjahre. Mit dem Bau der Mauer 1961 schwand die Hoffnung auf ein einiges Deutschland und ab 1973 war Bonn nicht nur de facto, sondern auch ganz offiziell „Bundeshauptstadt“.

Berlin – die gesamtdeutsche Hauptstadt

Nach der Wiedervereinigung 1990 trug diesen Titel Berlin. Wirklich besiegelt wurde das Ende der „Bonner Republik“ aber erst im am 20.06.1991, als der Bundestag mit knapper Mehrheit seinen Umzug nach Berlin beschloss. Die Hauptstadtfrage war geklärt.

Natürlich habe ich trotzdem mal die Freund*innen besucht, die nach Bonn gezogen sind. Wir hatten eine wunderbare Zeit zusammen: Man kommt von Bonn schnell nach Köln…

Karl Kelschebach möchte Lernende nicht nur mit den Absonderlichkeiten der deutschen Sprache versöhnen, sondern auch ihre Neugier auf die Kuriositäten des Lebens in Deutschland wecken. Ob Spargel, Beamtendeutsch oder die Deutsche Bahn - nichts ist vor seiner flotten Feder sicher. Über manches schreibt er liebevoll, über anderes biestig - aber eine Prise Humor ist immer dabei.

Karl Kelschebach not only wants to reconcile learners with the peculiarities of the German language, but also arouse their interest in the curiosities of life in Germany. Whether it's asparagus, administrative language or the German railway - nothing is safe from Karl's quick pen. He writes tenderly about some things, and meanly about others - but there is always a pinch of humour.

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