Über zwei deutsche Wörter, die sich schwer übersetzen lassen. Beide sind beliebte Tattoo-Motive. Und beide haben mit dem Reisen zu tun.
„Fernweh“? Ja, doch, auf dem Arm der indischen Germanistik-Studentin, die in meinem Deutschkurs hospitierte, stand wirklich „Fernweh“. Über dem Wort flogen zwei Möwen. Irgendwie passte das Tattoo ganz gut zur Situation: Wir alle wären lieber am Meer gewesen oder auch in den Bergen, egal, Hauptsache weit weg, irgendwo, wo uns Deklinationen egal sein können.
„Fernweh“ – was ist das eigentlich?
„Fernweh“ – ein Wort, das kaum zu übersetzen ist und vielleicht gerade deshalb nicht nur in Deutschland bekannt ist. Es beschreibt die Sehnsucht nach… – ja, wonach eigentlich? Nach der Ferne, schon klar, aber präzise lokalisieren lässt sich die Ferne nicht, vor allem nicht die, von der wir manchmal träumen, wenn uns unser Leben am Schreibtisch irgendwie trist erscheint. Ferne – das Wort klingt nach Freiheit und Abenteuer. Man könnte auch sagen: Es klingt nach Fototapeten-Motiven, nach Strand und Palmen und Sonnenuntergang oder auch nach New York, Los Angeles, San Francisco. Auf jeden Fall klingt es nicht nach Alltag, jedenfalls nicht nach unserem.
Hilft Tourismus gegen das Fernweh?
Wer Fernweh hat, geht auf Reisen. Zumindest, wenn er außer Fernweh Urlaub und Geld hat. Von beidem braucht man heute weniger als in früheren Jahrhunderten, um zu verreisen. Längst ist der Tourismus ein Massenphänomen. Dass soziale Unterschiede deshalb verschwinden, ist natürlich eine Illusion. Nirgends sind sie präsenter als im Tourismus: „Gebildete“ deutsche Reisende wollen nichts, aber auch wirklich gar nichts zu tun haben mit den „Sauftouristen“, also ihren Landsleuten, die im Urlaub vor allem preiswert trinken und feiern möchten. Schon der humoristische Autor Robert Gernhardt machte sich in seinem Gedicht Deutscher im Ausland über den Klassismus unter Tourist*innen lustig:
Ach nein, ich bin keiner von denen, die kreischend
das breite Gesäß in den Korbsessel donnern,
mit lautem Organ „Bringse birra“ verlangen
und dann damit prahlen, wie hart doch die Mark sei.
Ach ja, ich bin einer von jenen, die leidend
verkniffenen Arschs am Prosecco-Kelch nippen,
stets in der Furcht, es könnt jemand denken:
Der da! Gehört nicht auch der da zu denen?
Reproduzieren wir in der Ferne am Ende doch nur das, was schon zu Hause ätzend ist?
„Wanderlust“ – am stärksten in der „Waldeinsamkeit“
Noch beliebter als „Fernweh“ ist als Tattoo-Motiv das deutsche Wort „Wanderlust“. Wandern, das heißt nicht einfach, eine längere Strecke zu Fuß zu gehen. Wandern, das ist auch etwas ganz anderes als Spazierengehen. Wandern, das ist authentische Naturerfahrung – zumindest der Idee nach. Die Faszination des Wanderns besteht seit dem 19. Jahrhundert darin, Abstand zur modernen Zivilisation zu gewinnen. Je weiter die Industrialisierung in Deutschland voranschritt, desto attraktiver wurde die „Waldeinsamkeit“ – die übrigens bis heute in einem gewissen Konflikt zur Popularität des Wanderns steht. Wenn in Nordrhein-Westfalen die Sommerferien beginnen und die Einwohner des größten deutschen Bundeslandes im Harz, im Schwarzwald und in den Alpen ihre „Wanderlust“ ausleben, ist dort von „Waldeinsamkeit“ nicht mehr viel zu spüren.
Ein Mittel gegen Fernweh
Das ändert nichts am Kult ums Wandern, zu dem auch die Kunst beigetragen hat, vor allem die Kunst der Romantik. Auf den Gemälden Caspar Davids Friedrichs (1774-1840) sehen wir Menschen in meditativer Betrachtung der Natur. Sie bewundern Berge, Wälder und Meere. Manches kennt man von Fotos oder sogar aus dem Urlaub – und doch sehen die Traumlandschaften auf den Bildern so ganz anders aus als die touristische Wirklichkeit. Wenn uns mal wieder das Fernweh überkommt, sollten wir vielleicht nicht auf Reisen gehen, sondern einfach in die Alte Nationalgalerie.
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