Das Passiv – der Todbringer der deutschen Grammatik

Viel Passiv, wenig Leben

Als Ideen für den neuen Blog-Post gesammelt wurden, wurde angemerkt, dass das Passiv noch nicht genug thematisiert worden sei. Ein Beitrag zu diesem Aspekt der deutschen Sprache würde sicher erwartet. Daher sollte ein entsprechender Text zeitnah verfasst werden.

Klingt nach einem eher tristen Gespräch? Warum eigentlich? Weil ich es im Passiv wiedergegeben habe. Das Passiv saugt das Leben aus Texten. Deshalb ist es auch so beliebt in der deutschen Bürokratie, der alles Lebendige bekanntlich suspekt ist. Okay, das war ein bisschen übertrieben – aber nur ein bisschen. Sucht im ersten Absatz mal nach lebendigen Menschen – na, wie viele findet ihr? Nicht einen! Die Ideen wurden gesammelt – aber von wem? Die Sache mit dem Passiv wurde angemerkt – aber von wem? Ein Text zum Passiv wird angeblich erwartet – von wem wird denn ein Text zum Todbringer der deutschen Grammatik erwartet? Und von wem soll dieser Text zeitnah verfasst werden – wer bitte soll das machen? Ist gut, ich schreibe ja schon… 

Die leidende Leserin

In Passivsätzen bleibt nicht selten offen, wer etwas gemacht hat, macht oder noch machen soll. Wenn ich sage, dass die Küche aufgeräumt werden müsste, mache ich nur indirekt klar, dass irgendjemand sie aufräumen soll (möglichst jemand anderes). Das Passiv macht Handelnde, Täter, Schuldige unsichtbar. Der Satz “Die Leserin wird gelangweilt” enthält keine Information darüber, wer die Leserin langweilt. Natürlich muss das nicht so sein. Natürlich kann ich den Satz erweitern: “Die Leserin wird vom Blogger gelangweilt.” Doch auch diese Variante fokussiert nicht den Blogger, sondern die Leserin. Bei dem Satz “Der Blogger langweilt die Leserin”, denke ich: “Der Langweiler!” Lese ich dagegen “Die Leserin wird vom Blogger gelangweilt”, denke ich: “Die Arme.” Kein Wunder, dass das Passiv auch “Leideform” heißt.

Vorgangs- und Zustandspassiv

“Die Leserin wird vom Blogger gelangweilt” – in diesem Satz ist der Blogger noch dabei, auf die Leserin einzuwirken. Er ermüdet sie immer weiter und weiter, etwa mit Überlegungen zum Passiv. Das Resultat: “Die Leserin ist gelangweilt.” Das Passiv mit dem Hilfsverb  “werden” beschreibt eine Handlung, die noch im Gang ist, und heißt “Vorgangspassiv”. Das Passiv mit dem Hilfsverb “sein” beschreibt dagegen den Zustand nach Vollendung einer Handlung und heißt “Zustandspassiv”. Wenn ich also darauf hinweise, dass die Spülmaschine ausgeräumt werden müsste, bekäme ich in der perfekten Welt die Auskunft: “Sie ist schon aufgeräumt!” “Wurde zufällig auch von irgendwem geputzt?”, würde ich fragen. “Natürlich! Alles ist aufgeräumt und geputzt. Und das Abendessen ist auch bereits gekocht!”

Leider leben wir nicht in der perfekten Welt. Es muss noch aufgeräumt, geputzt und gekocht werden. Nein, eine saubere Küche und ein leckeres Abendessen verlangen nach einem Satz im Aktiv: Ich muss jetzt aufräumen, putzen und kochen. Wenn ich fertig bin, werde ich sagen: “Jetzt ist alles erledigt!” Und auf diesen wunderschönen Zustandspassiv-Satz werde ich ein Glas Wein trinken. 

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Karl Kelschebach möchte Lernende nicht nur mit den Absonderlichkeiten der deutschen Sprache versöhnen, sondern auch ihre Neugier auf die Kuriositäten des Lebens in Deutschland wecken. Ob Spargel, Beamtendeutsch oder die Deutsche Bahn - nichts ist vor seiner flotten Feder sicher. Über manches schreibt er liebevoll, über anderes biestig - aber eine Prise Humor ist immer dabei.

Karl Kelschebach not only wants to reconcile learners with the peculiarities of the German language, but also arouse their interest in the curiosities of life in Germany. Whether it's asparagus, administrative language or the German railway - nothing is safe from Karl's quick pen. He writes tenderly about some things, and meanly about others - but there is always a pinch of humour.

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