Ist Denglisch cringe?

Believe it or not, zum Jugendwort des Jahres 2021 wurde cringe gevotet. Stranger Move von der Jury, oder? Ich meine, sorry, aber cringe ist doch kein deutsches Wort. Crazy shit: Anglizismen crashen unser good old German!

Sprachpuristen fühlen sich ziemlich lost inmitten all der englischen Wörter, die Einzug in unseren Alltag gehalten haben. Dabei ist der Einfluss des Englischen keineswegs neu: Der Begriff Denglisch ist bereits seit 1965 in Umlauf. Was weder “reines” Deutsch noch “reines” Englisch ist, wird (meist abwertend) als “Denglisch” bezeichnet.

Sprachpurismus

Das Ideal sprachlicher “Reinheit” geht auf das 17. Jahrhundert zurück – genau wie das Wort “Reinheit”, für das man zuvor den lateinischen Begriff „puritas“ benutzte. 1619 gründete sich den “Fruchtbringende Gesellschaft”, die Deutsch als Sprache des Volkes stärken und von Fremdwörtern befreien wollte. Damals waren es nicht englische, sondern lateinische und französische Einflüsse, welche die Sprachpuristen in Rage – nein: in “Wut” – brachten. Ihnen hielten sie deutsche Äquivalente – Verzeihung, ich meine natürlich: “Entsprechungen” – entgegen, von denen sich manche bis heute behauptet haben, zum Beispiel der “Augenblick” für “Moment”.

Die Fruchtbringende Gesellschaft fand zahlreiche Nachfolger – etwa die 1815 gegründete Berlinische Gesellschaft für deutsche Sprache, die vor allem den Gallizismen, also dem Französischen entlehnten Wörtern, den Kampf angesagt hatte. Friedrich II hatte zu Hofe noch stets auf Französisch Konversation getrieben und betrachtete Deutsch als “barbarischen Jargon, gerade noch geeignet, um mit seinen Pferden zu sprechen”. Für die deutschen Nationalisten des 19. Jahrhunderts war Französisch die Sprache des Feindes. Nachdem Napoleon das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zerschlagen hatte, sollte zumindest auf sprachlicher Ebene etwas wie eine deutsche Nation wiederauferstehen – ohne den Ballast des verhassten Nachbarlandes.

Fremdwörter als Bedrohung?

Als die Nation 1871 dann obrigkeitsstaatliche Wirklichkeit wurde, verschwand der Sprachpurismus jedoch keineswegs. 1885 gründete sich der Allgemeine Deutsche Sprachverein, der gegen Fremdwörter kämpfte. Unter den Nationalsozialisten verstand er sich gar als “SA unserer Muttersprache”, wie es in der Vereinszeitschrift hieß. Fremdwörter gehörten aber zur nationalsozialistischen Propaganda dazu, schließlich klangen sie imposant. Die Begeisterung des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins für das NS-Regime stieß daher keineswegs auf Gegenliebe.

Heute ist es der Verein Deutsche Sprache, der sich um “Sprachpflege” bemüht – was konkret heißt, dass er Anglizismen bekämpft. Er hat einen gewaltigen Anglizismen-Index erstellt, in dem auch deutsche Alternativen zu der auf der Homepage, nein: der Netzseite des Vereins beklagten “Unzahl unnötiger und unschöner englischer Ausdrücke” geführt werden.

Anglizismen als Bereicherung?

Ob englische Wörter im Deutschen wirklich unnötig und unschön sind, darüber lässt sich natürlich streiten. Die Initiative “Anglizismus des Jahres” ehrt jedes Jahr einen neuen Anglizismus. Welche Anglizismen sich wann etablieren, so die Überzeugung der Jury, verrät einiges darüber, was Politik und Gesellschaft beschäftigt – der Anglizismus des Jahres 2021 ist boostern, nachdem es 2020 das Wort “Lockdown” war.

Sind Anglizismen also keine Gefahr, sondern eine Bereicherung für die deutsche Sprache? Klar ist: Aus unserem Alltag sind sie nicht mehr wegzudenken. Eine gute Nachricht für alle, die Deutsch lernen – denn viele Anglizismen haben sich längst auch in anderen Sprachen etabliert.

Und im internationalen Berlin gilt sowieso: Englische Wörter sind nicht cringe, sondern fancy!

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Karl Kelschebach möchte Lernende nicht nur mit den Absonderlichkeiten der deutschen Sprache versöhnen, sondern auch ihre Neugier auf die Kuriositäten des Lebens in Deutschland wecken. Ob Spargel, Beamtendeutsch oder die Deutsche Bahn - nichts ist vor seiner flotten Feder sicher. Über manches schreibt er liebevoll, über anderes biestig - aber eine Prise Humor ist immer dabei.

Karl Kelschebach not only wants to reconcile learners with the peculiarities of the German language, but also arouse their interest in the curiosities of life in Germany. Whether it's asparagus, administrative language or the German railway - nothing is safe from Karl's quick pen. He writes tenderly about some things, and meanly about others - but there is always a pinch of humour.

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