Kiezpatriotismus und ein Wegbier vom Späti

In meinem Bezirk bin ich gemeldet – in meinem Kiez bin ich zu Hause.

Neuer Wortschatz für Zugezogene

Die Metropole Berlin ist bevölkert von Smalltown Boys und Smalltown Girls. Die Urberliner, die schon immer hier wohnen, nennen sie die Zugezogenen. Auch so ein Wort, das man als Zugezogener erst einmal lernen muss. Als wäre es nicht schon schwierig genug, wenn man neu in der Stadt ist…

Es beginnt schon, wenn man ein Brötchen kaufen will – pardon, eine Schrippe! Oder gar einen dieser speziellen Donuts, die überall in Deutschland Berliner heißen – außer in Berlin, wo man sie Pfannkuchen nennt.

Spezifisch berlinerisch ist auch der Späti – oder etwas formeller: Spätkauf. Kleine Geschäfte, in denen man Getränke, Snacks und Zigaretten kaufen kann, heißen in anderen Regionen Bude oder Kiosk. Dass man sie in Berlin Späti nennt, liegt wohl daran, dass sie hier auch nach 22 Uhr noch geöffnet haben. Wer will, kann bekommt im Späti auch mitten in der Nacht noch ein Wegbier.

Berlin und seine Kieze

Und dann gibt es da noch das Wort Kiez, ein umgangssprachliches Synonym für Stadtteil oder Viertel. Während das Wort Bezirk eine städtische Verwaltungseinheit beschreibt, hat Kiez etwas mit Heimat zu tun. Wenn ich Bezirk höre, denke ich ans Bürgeramt. Wenn ich Kiez höre, denke ich an den Späti in meinem Haus. Oder an den Dönerimbiss gegenüber. Oder an die Eckkneipe nebenan, eine dieser etwas versifften, verrauchten Bars, wo die Urberliner vor ihrem Bier sitzen und ab und zu ein paar Hipster vorbeikommen, weil sich das so schön authentisch anfühlt. In meinem Bezirk bin ich gemeldet – in meinem Kiez bin ich zu Hause.

Ob Urberliner oder Zugezogene – viele Menschen, die in Berlin wohnen, feiern ihre Kieze: So groß die Metropole, so vertraut der eigene Kiez. Die Geschichte der einzelnen Kieze begünstigt die Identifikation mit ihnen. Manche waren früher eigene Städte wie Charlottenburg oder Spandau, andere haben bestimmte Gruppen besonders angezogen – so hat sich etwa Schöneberg schon in den 1920er Jahren als Zentrum der europäischen LGBTI-Szene etabliert, in Kreuzberg fanden die ersten Arbeitsmigranten aus der Türkei ein (damals nicht sehr komfortables, aber auch nicht sehr teures) Zuhause.

Kiezpatriotismus

Viele Kieze haben neben einem offiziellen auch einen inoffiziellen Namen: Aus Kreuzberg wird X-Berg, aus Prenzlauer Berg Prenzelberg, aus Friedrichshain F-Hain. Ein Freund aus Moabit hat einen Sticker am Kühlschrank kleben: „Moabit ist beste!“ Ziemlich cool.

Der coolste Kiez ist aber natürlich immer der eigene. All on Board liegt im Wedding und ich habe das Glück, in der Nachbarschaft zu wohnen. Der Wedding hat ein eigenes Prime Time Theater, in dem Berliner Lokalpatriotismus im Comedy-Format zelebriert wird. Auch literarisch hat der coolste Kiez Berlins eine Menge zu bieten – zum Beispiel die „Brauseboys“, die in satirischen Texten vom Alltag im Wedding erzählen. Zuhören kann man ihnen donnerstags in der Kulturfabrik bei einer der vielen Berliner Lesebühnen.

Bevor ich es mit dem Lokalpatriotismus übertreibe, mache ich Schluss für heute und gehe nach Hause. Soll ich mir vorher vielleicht noch ein Wegbier beim Späti holen?

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Karl Kelschebach möchte Lernende nicht nur mit den Absonderlichkeiten der deutschen Sprache versöhnen, sondern auch ihre Neugier auf die Kuriositäten des Lebens in Deutschland wecken. Ob Spargel, Beamtendeutsch oder die Deutsche Bahn - nichts ist vor seiner flotten Feder sicher. Über manches schreibt er liebevoll, über anderes biestig - aber eine Prise Humor ist immer dabei.

Karl Kelschebach not only wants to reconcile learners with the peculiarities of the German language, but also arouse their interest in the curiosities of life in Germany. Whether it's asparagus, administrative language or the German railway - nothing is safe from Karl's quick pen. He writes tenderly about some things, and meanly about others - but there is always a pinch of humour.

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