Sommerwetter– manchmal April, manchmal Sahara

Irgendwie fühlt sich der Berliner Sommer dieses Jahr so an wie der April. Im Homeoffice sitze ich in Badehose, wenn ich dann ins Schwimmbad gehe, beginnt es zu regnen. Im Freiluftkino habe ich dieses Jahr schon kalten Aperol getrunken, an anderen Tagen wäre mir heißer Glühwein lieber gewesen. Seit Wochen haben wir ein richtiges Aprilwetter – ein wechselhaftes, unbeständiges Wetter.

Manchmal fühlt sich der Berliner Sommer leider eher wie die Sahara an als wie der April – wenn sich während einer Hitzewelle die Straßen aufheizen und einfach nicht abkühlen wollen. Die Sonne brennt, man schwitzt und hofft auf ein bisschen Wind, wenigstens eine leichte Brise. Die Hoffnung stirbt zuletzt, sagt man. Aber sie stirbt. Die Hoffnung auf Wind jedenfalls überlebt nicht lange, wenn sich in den Häuserschluchten Berlins die Hitze staut. Wer eine Abkühlung braucht, muss ins Freibad gehen – oder an einen der vielen Badeseen.

„Pack die Badehose ein“

Da wäre zum Beispiel der Wannsee im Südwesten Berlins. Badespaß am Wannsee – darum geht es in dem berühmten Berliner Schlager „Pack die Badehose ein“ aus dem Jahr 1951, gesungen von der damals siebenjährigen Tochter des Komponisten. Als echte „Berliner Göre“ – also als ein typisches Kind der Stadt – wurde sie zu einem der ersten Kinderstars der Bundesrepublik Deutschland.

Populär wurde das Lied auch in Ostberlin – allerdings in einer etwas anderen Version, denn der Wannsee lag im Westen. Im Original heißt es: „Pack die Badehose ein, / nimm dein kleines Schwesterlein / und dann nischt wie raus nach Wannsee.“ In der DDR wurde daraus: „und dann nischt wie raus ins Strandbad.“

Das war die nette Version. Es gab auch eine bitterböse Parodie. Sie entstand, nachdem ein kleines Mädchen im Strandbad Wannsee angeschossen worden war, weil amerikanische Soldaten den nahen Grunewald für militärische Übungen nutzten: „Schließ die Badehose ein, / lass das Baden lieber sein, / denn der Ami schießt am Wannsee.“

Die Jahreszeit des Schlagers

Bis heute ist der Sommer eine Jahreszeit für Schlager. Die klassische Poesie hat er wenig inspiriert. Viele deutsche Dichterinnen und Dichter haben zarte Verse über den Frühling und den Herbst geschrieben. Den Sommer haben sie den Schlagersängern überlassen.

Im März fällt mir manchmal Eduard Mörickes „Er ist’s“ ein. Im September denke ich an Rainer Maria Rilkes „Herbsttag“. Im Juli habe ich dieses Jahr das Lied „Layla“ von DJ Robin & Schürze kennengelernt. Es beschreibt die erotischen Qualitäten einer Bordellbetreiberin. Dass es auf manchen Stadtfesten nicht gespielt werden sollte, löste eine sehr emotionale Debatte über Sexismus und Kunstfreiheit aus. Bei manchen Debattenbeiträgen fragte ich mich, ob die Debattierenden die Hitze nicht vertragen hatten…

Ich hoffe, dass euch weder Aprilwetter noch Hitze zusetzen. Vielleicht motiviert euch der Berliner Sommer ja sogar, euren Wortschatz rund ums Wetter zu erweitern, um über die „Bullenhitze“ schimpfen oder eure Freude über ein „laues Lüftchen“ ausdrücken zu können. Und damit Schluss für heute – ich brauche dringend eine Abkühlung. Hoffentlich fängt es im Schwimmbad nicht wieder an zu regnen…

 

Queer und selbstbewusst – nicht nur im Pride Month

Es ist Juni , wir sind in Berlin – da bräuchten wir einen Blog-Post zum Pride Month, fanden meine Kolleginnen. Pride Month? Musste ich erst mal googeln. Ich fand heraus: Der Juni ist der Monat queeren Selbstbewusstseins. Oh, da bin ich spät dran mit meinem Blogpost! Dabei finde ich queeres Selbstbewusstsein natürlich super. Nur feiere ich es auf der CSD-Parade, und die ist in Berlin erst im Juli…

Die Geschichte von Pride Month und Christopher Street Day

Irgendwie ist der Begriff „Pride Month“ bisher nicht so richtig in Deutschland angekommen. Er erinnert an den Mut – die Courage – der Gäste einer queeren Bar in New York. Am 28. Juni 1969 protestierten sie gegen eine Polizei-Razzia und begannen damit einen leidenschaftlichen Kampf für Gleichberechtigung – laut, wütend und stolz. Stolz darauf, so zu sein, wie sie waren.

Auch in Deutschland erinnert die LGBTIQ*-Community an die Ereignisse in jener Bar, dem Stonewall’s Inn in der Christopher Street. Über 60 Paraden gibt es diesen Sommer zum Christopher Street Day. Nur mit dem Monat nehmen es die Deutschen nicht so genau, obwohl sie doch sonst für ihre Pünktlichkeit bekannt sind. In Berlin findet der CSD am 23. Juli statt, in vielen Städten noch später. In Herleshausen lässt man sich bis November Zeit.

Sprache und Emanzipation

Ob wir es im Pride Month, im Juli oder erst im November feiern – zu queerem Selbstbewusstsein gehört eine selbstbewusste Sprache. In den 1970er Jahren nannten sich manche schwule Aktivistenpervers“. Das war nicht einfach Ironie, sondern Arbeit an der Sprache. Aus einem Stigma sollte ein provokantes Statement gegen die konservative Sexualmoral der Mehrheitsgesellschaft werden. Trotzdem blieb das Wort negativ konnotiert.

Anders das Wort „schwul“, das männliche Homosexualität beschreibt. Es kommt von „schwül“. Schwül, also warm und feucht, war es früher in den verbotenen Bars, in denen Schwule sich heimlich trafen. Vielleicht wurden mit „schwül“ auch die Beziehungen der „warmen Brüder“, also homosexueller Männer, zu ihren Geliebten metaphorisch charakterisiert, weil sie das Gegenteil von kalt und gleichgültig waren.

Lange wurde „schwul“ nur in der Umgangssprache benutzt, oft abwertend. Heute hat es auch in der Standardsprache seinen Platz. Und in der Jugendsprache – dort aber als Attribut für Peinliches oder Unattraktives. Ist das nun ein kreatives Spiel mit Bedeutungen oder einfach Homophobie?

Vielfalt, die inspiriert

Eine Alternative zu „schwul“ ist inzwischen der Anglizismus „gay“. Sein Vorteil: Er ist inklusiver, weil er auch lesbische Liebe beschreibt. Überhaupt: Die LGBTIQ*-Szene ist so vielfältig, dass es manchmal eine Herausforderung ist, die richtigen Worte zu finden. Es geht schließlich nicht nur um sexuelle Orientierungen wie lesbisch, schwul und bisexuell, sondern auch um Geschlechtsidentitäten wie trans, inter oder nonbinär.

Wie inspirierend diese Vielfalt sein kann, zeigt der Film „Desire will set you free“ (2015) von Yoni Leyser. Er stilisiert Berlin zu einer Art queerem El Dorado  – und macht klar: Unter dem Regenbogen, dem farbenfrohen Symbol der LGBTIQ*-Community, ist Platz für viele. Nicht nur im Pride Month.

 

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Ist Denglisch cringe?

Believe it or not, zum Jugendwort des Jahres 2021 wurde cringe gevotet. Stranger Move von der Jury, oder? Ich meine, sorry, aber cringe ist doch kein deutsches Wort. Crazy shit: Anglizismen crashen unser good old German!

Sprachpuristen fühlen sich ziemlich lost inmitten all der englischen Wörter, die Einzug in unseren Alltag gehalten haben. Dabei ist der Einfluss des Englischen keineswegs neu: Der Begriff Denglisch ist bereits seit 1965 in Umlauf. Was weder “reines” Deutsch noch “reines” Englisch ist, wird (meist abwertend) als “Denglisch” bezeichnet.

Sprachpurismus

Das Ideal sprachlicher “Reinheit” geht auf das 17. Jahrhundert zurück – genau wie das Wort “Reinheit”, für das man zuvor den lateinischen Begriff „puritas“ benutzte. 1619 gründete sich den “Fruchtbringende Gesellschaft”, die Deutsch als Sprache des Volkes stärken und von Fremdwörtern befreien wollte. Damals waren es nicht englische, sondern lateinische und französische Einflüsse, welche die Sprachpuristen in Rage – nein: in “Wut” – brachten. Ihnen hielten sie deutsche Äquivalente – Verzeihung, ich meine natürlich: “Entsprechungen” – entgegen, von denen sich manche bis heute behauptet haben, zum Beispiel der “Augenblick” für “Moment”.

Die Fruchtbringende Gesellschaft fand zahlreiche Nachfolger – etwa die 1815 gegründete Berlinische Gesellschaft für deutsche Sprache, die vor allem den Gallizismen, also dem Französischen entlehnten Wörtern, den Kampf angesagt hatte. Friedrich II hatte zu Hofe noch stets auf Französisch Konversation getrieben und betrachtete Deutsch als “barbarischen Jargon, gerade noch geeignet, um mit seinen Pferden zu sprechen”. Für die deutschen Nationalisten des 19. Jahrhunderts war Französisch die Sprache des Feindes. Nachdem Napoleon das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zerschlagen hatte, sollte zumindest auf sprachlicher Ebene etwas wie eine deutsche Nation wiederauferstehen – ohne den Ballast des verhassten Nachbarlandes.

Fremdwörter als Bedrohung?

Als die Nation 1871 dann obrigkeitsstaatliche Wirklichkeit wurde, verschwand der Sprachpurismus jedoch keineswegs. 1885 gründete sich der Allgemeine Deutsche Sprachverein, der gegen Fremdwörter kämpfte. Unter den Nationalsozialisten verstand er sich gar als “SA unserer Muttersprache”, wie es in der Vereinszeitschrift hieß. Fremdwörter gehörten aber zur nationalsozialistischen Propaganda dazu, schließlich klangen sie imposant. Die Begeisterung des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins für das NS-Regime stieß daher keineswegs auf Gegenliebe.

Heute ist es der Verein Deutsche Sprache, der sich um “Sprachpflege” bemüht – was konkret heißt, dass er Anglizismen bekämpft. Er hat einen gewaltigen Anglizismen-Index erstellt, in dem auch deutsche Alternativen zu der auf der Homepage, nein: der Netzseite des Vereins beklagten “Unzahl unnötiger und unschöner englischer Ausdrücke” geführt werden.

Anglizismen als Bereicherung?

Ob englische Wörter im Deutschen wirklich unnötig und unschön sind, darüber lässt sich natürlich streiten. Die Initiative “Anglizismus des Jahres” ehrt jedes Jahr einen neuen Anglizismus. Welche Anglizismen sich wann etablieren, so die Überzeugung der Jury, verrät einiges darüber, was Politik und Gesellschaft beschäftigt – der Anglizismus des Jahres 2021 ist boostern, nachdem es 2020 das Wort “Lockdown” war.

Sind Anglizismen also keine Gefahr, sondern eine Bereicherung für die deutsche Sprache? Klar ist: Aus unserem Alltag sind sie nicht mehr wegzudenken. Eine gute Nachricht für alle, die Deutsch lernen – denn viele Anglizismen haben sich längst auch in anderen Sprachen etabliert.

Und im internationalen Berlin gilt sowieso: Englische Wörter sind nicht cringe, sondern fancy!

Not sure whether sprinkling your German with English words is clever or cringe in a certain situation? Or would you just like to improve your German? Either way, All on Board can help! Get in touch to find out more about courses www.allonboard.de   

 

Kiezpatriotismus und ein Wegbier vom Späti

Neuer Wortschatz für Zugezogene

Die Metropole Berlin ist bevölkert von Smalltown Boys und Smalltown Girls. Die Urberliner, die schon immer hier wohnen, nennen sie die Zugezogenen. Auch so ein Wort, das man als Zugezogener erst einmal lernen muss. Als wäre es nicht schon schwierig genug, wenn man neu in der Stadt ist…

Es beginnt schon, wenn man ein Brötchen kaufen will – pardon, eine Schrippe! Oder gar einen dieser speziellen Donuts, die überall in Deutschland Berliner heißen – außer in Berlin, wo man sie Pfannkuchen nennt.

Spezifisch berlinerisch ist auch der Späti – oder etwas formeller: Spätkauf. Kleine Geschäfte, in denen man Getränke, Snacks und Zigaretten kaufen kann, heißen in anderen Regionen Bude oder Kiosk. Dass man sie in Berlin Späti nennt, liegt wohl daran, dass sie hier auch nach 22 Uhr noch geöffnet haben. Wer will, kann bekommt im Späti auch mitten in der Nacht noch ein Wegbier.

 

 

Berlin und seine Kieze

Und dann gibt es da noch das Wort Kiez, ein umgangssprachliches Synonym für Stadtteil oder Viertel. Während das Wort Bezirk eine städtische Verwaltungseinheit beschreibt, hat Kiez etwas mit Heimat zu tun. Wenn ich Bezirk höre, denke ich ans Bürgeramt. Wenn ich Kiez höre, denke ich an den Späti in meinem Haus. Oder an den Dönerimbiss gegenüber. Oder an die Eckkneipe nebenan, eine dieser etwas versifften, verrauchten Bars, wo die Urberliner vor ihrem Bier sitzen und ab und zu ein paar Hipster vorbeikommen, weil sich das so schön authentisch anfühlt. In meinem Bezirk bin ich gemeldet – in meinem Kiez bin ich zu Hause.

Ob Urberliner oder Zugezogene – viele Menschen, die in Berlin wohnen, feiern ihre Kieze: So groß die Metropole, so vertraut der eigene Kiez. Die Geschichte der einzelnen Kieze begünstigt die Identifikation mit ihnen. Manche waren früher eigene Städte wie Charlottenburg oder Spandau, andere haben bestimmte Gruppen besonders angezogen – so hat sich etwa Schöneberg schon in den 1920er Jahren als Zentrum der europäischen LGBTI-Szene etabliert, in Kreuzberg fanden die ersten Arbeitsmigranten aus der Türkei ein (damals nicht sehr komfortables, aber auch nicht sehr teures) Zuhause.

Kiezpatriotismus

Viele Kieze haben neben einem offiziellen auch einen inoffiziellen Namen: Aus Kreuzberg wird X-Berg, aus Prenzlauer Berg Prenzelberg, aus Friedrichshain F-Hain. Ein Freund aus Moabit hat einen Sticker am Kühlschrank kleben: „Moabit ist beste!“ Ziemlich cool.

Der coolste Kiez ist aber natürlich immer der eigene. All on Board liegt im Wedding und ich habe das Glück, in der Nachbarschaft zu wohnen. Der Wedding hat ein eigenes Prime Time Theater, in dem Berliner Lokalpatriotismus im Comedy-Format zelebriert wird. Auch literarisch hat der coolste Kiez Berlins eine Menge zu bieten – zum Beispiel die „Brauseboys“, die in satirischen Texten vom Alltag im Wedding erzählen. Zuhören kann man ihnen donnerstags in der Kulturfabrik bei einer der vielen Berliner Lesebühnen.

Bevor ich es mit dem Lokalpatriotismus übertreibe, mache ich Schluss für heute und gehe nach Hause. Soll ich mir vorher vielleicht noch ein Wegbier beim Späti holen?

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Frohe Weihnachten!

„Großer Gott, wir loben dich“ – dies war eines der Lieder, mit denen sich Angela Merkel mit militärischem Zeremoniell aus dem Amt als Bundeskanzlerin verabschieden ließ. Man könnte nun darüber diskutieren, ob man einen Choral einer Militärkapelle überantworten sollte. Oder darüber, ob ein religiöses Lied in einem mehr oder weniger säkularen Staat überhaupt das Richtige für die Verabschiedung einer Regierungschefin ist. Das könnten ziemlich kontroverse Diskussionen werden…

Christliche Konfessionen in Deutschland

Dabei hat Angela Merkel das Lied „Großer Gott, wir loben dich“ sicherlich nicht ausgesucht, um zu spalten, sondern um zu verbinden. „Großer Gott, wir loben dich“ ist nämlich, wie die Journalistin Anja Maier in der Wochenzeitung DIE ZEIT bemerkt, ein „ökumenischer Gassenhauer für alle Lebenslagen“ – ein Lied also, dass sowohl bei Katholiken als auch bei Protestanten beliebt ist. Ursprünglich wurde es nur in der katholischen Kirche gesungen, im 19. Jahrhundert übernahmen es auch protestantische Gemeinden.

Obwohl Religion im Alltag vieler Menschen in Deutschland keine wichtige Rolle spielt, sind die Unterschiede zwischen den beiden großen Konfessionen bis heute bemerkbar. Zum Beispiel gibt es katholische und evangelische Schulen und Kindergärten, und auch an öffentlichen Schulen findet der Religionsunterricht in manchen Bundesländern nach Konfessionen getrennt statt.

Katholische und evangelische Weihnachtstraditionen

Jetzt, in der Weihnachtszeit, vermischen sich katholische und evangelische Traditionen. Der Nikolaus zum Beispiel kommt auch zu evangelischen Kindern – obwohl Martin Luther vom Kult um Heilige gar nichts hielt. Den Nikolaus wollte er durch das „Christkind“ ersetzen, das am Heiligabend die Geschenke brachte. Heute teilt sich das Christkind diese Aufgabe mit dem Weihnachtsmann – in evangelisch ebenso wie in katholisch geprägten Regionen.

Auch viele Weihnachtslieder sind an keine Konfession gebunden. Manche aber sind es doch. Zum Beispiel „Heiligste Nacht“. Dieses Lied wünschte sich meine evangelisch getaufte Großmutter immer zu Weihnachten – allerdings nicht für sich selbst, sondern für meine katholischen Großeltern, die Heiligabend bei ihr zu Gast waren. „Heiligste Nacht“ hat es irgendwie nie in evangelische Messen geschafft – auf den Weihnachtsfeiern unserer Familie durfte es dagegen nicht fehlen, denn die katholischen Gäste sollten sich willkommen fühlen. Heute wirkt eine solche Geste antiquiert, und vielleicht war sie es auch damals schon. Für die Generation meiner Großeltern jedoch waren Konfessionen keinesfalls eine Banalität – und so war auch die Sache mit dem katholischen Weihnachtslied nicht banal.

Freche Parodien

Genug des Pathos – Weihnachtslieder laden schließlich nicht nur zu Betrachtungen über die im Glauben oder eben auch nur im Gesang vereinte Christenheit ein, sondern auch zu frechen Parodien. Da wäre zum Beispiel der Klassiker „Oh Tannenbaum“, in dem es eigentlich um die Schönheit eines Tannenbaums geht. Alternativ singt man aber auch gern: „Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, / Die Oma liegt im Kofferraum. / Der Opa macht den Deckel zu, / Nun hat er endlich seine Ruh‘.“

Mein Opa hatte Weihnachten keine Ruh‘, denn spätestens nach dem zweiten Likör sang meine Oma eine Parodie des eigentlich sehr feierlichen Weihnachtsliedes „Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen“. „Am Weihnachtsbaume, da hängt ‘ne Pflaume, / Wer hat die Pflaume drangehängt? / Das war mein Bruder, das dumme Luder, / Der hat die Pflaume drangehängt.“ So sang meine katholische Großmutter. Und ob katholisch, evangelisch oder atheistisch – wir alle hatten unseren Spaß daran.

Wie auch immer ihr die Weihnachtstage verbringt – wir wünschen euch eine erholsame Zeit und einen guten Rutsch ins neue Jahr!

Herbstlicher Laubregen von Komposita

Poesie oder Wortmonster? Meine Bekannten sind gar nicht glücklich über das Ende des Sommers: Vorbei die Zeit der Picknicks, der Grillpartys, der Nachmittage am See – nur noch allgemeines Absterben. Aber hat nicht gerade die Melancholie des Herbstes ihren Zauber? Keine andere Jahreszeit hat deutschsprachige Dichterinnen und Dichter mehr inspiriert. Und kommt man nicht selbst in poetische Stimmung, wenn man im goldenen Oktober spazieren geht? Die dunkelvioletten Astern, die purpurroten Blätter, der zartblaue Himmel – ach!

Na gut, das waren jetzt eher Klischees als Poesie. Doch auch in den Klischees zeigt sich ein Charakteristikum der deutschen Sprache: Man kann mit ihr Neues kreieren, indem man verschiedene Wörter zu einem verbindet. Mark Twain hat sich in seinem Essay „Die schreckliche deutsche Sprache“ über die Wortmonster lustig gemacht, die dabei entstehen können: „Manche deutschen Wörter sind so lang, dass man sie nur aus der Ferne ganz sehen kann“, kommentiert er die deutsche Begeisterung für Komposita.

Fugenelemente: Deutsch lernen, um die Wortmonster zu erschlagen

Eigentlich haben Komposita eine sprachökonomische Funktion. „Purpurrote Ahornblätter“ geht schneller als „Blätter, die so rot wie Purpur sind“. Trotzdem fragte sich 1999 wohl manche Zeitungsleserin, ob in der Redaktion die Leerzeichentaste klemmte, als über die Verabschiedung des „Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetzes“ berichtet wurde. 2013 wurde das Gesetz abgeschafft. Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftlern bereitet es aber immer noch Freude.

Im Gegensatz zu anderen Komposita besteht das Wort „Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz“ ausschließlich aus Substantiven, von denen manche mit, andere ohne Fugenelement verbunden wurden. Fugenelemente sind so etwas wie der Klebstoff zwischen zwei Wörtern. Im Wort „Fugenelement“ werden zum Beispiel die Wörter „Fuge“ und „Element“ mit einem kleinen -n- aneinandergeklebt. Im „Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz“ finden wir als Fugenelement dreimal das kleine -s-, das man nach -ung und -ion einsetzt. Es gibt ziemlich viele Fugenelemente. Im bietet dazu sprachgeschichtliche Erklärungen an – trotzdem weiß man manchmal nicht, welches man gerade braucht. Die gute Nachricht ist: Meistens braucht man gar keins.

Wenn man etwa ein Verb und ein Substantiv zusammenfügt, wie in dem Wort Klebstoff. Hier wird einfach der Verbstamm (Kleb-) mit dem Substantiv (Stoff) verbunden.

Auch Adjektive verbindet man ohne Fugenelemente miteinander – wir erinnern uns an die dunkelvioletten Astern und den zartblauen Himmel. Auch wenn ein Substantiv und ein Adjektiv kombiniert werden, braucht es normalerweise kein Fugenelement – egal, ob die Blätter nun purpurrot, feuerrot, blutrot, scharlachrot oder weinrot sind. 

Spaß mit Komposita

In „Ödipussi“ (1988), einem Spielfilm des großartigen Humoristen Loriot, streiten der Vertreter eines Textilhandels und eine Psychologin über eine geeignete Farbe für das Sofa eines depressiven Ehepaars. Während die Psychologin für „ein frisches Gelb, ein Apfelgrün“ plädiert, freut sich der Geschäftsmann über den Wunsch des Ehepaars, das Sofa grau beziehen zu lassen – denn er hat eine Kollektion von 28 Grautönen: mausgrau, staubgrau, aschgrau, steingrau, bleigrau, zementgrau…  

Ob diese graue Vielfalt gegen die Depression helfen wird? Zumindest zeigt sie: Komposita finden wir nicht nur in der Sprache der Bürokratie. Sie können uns auch zu kuriosen Wortschöpfungen inspirieren. Probiert es selbst aus: Kreiert bei eurem nächsten Spaziergang im Park Komposita für eure Umgebung. Ich jedenfalls gehe jetzt erst einmal das sonnengelbe Laub bewundern, das sich in den kristallklaren Teichen im Volkspark Rehberge spiegelt. Okay, die Teiche sind eigentlich schlammbraun – aber schlammbraun ist auch ein Kompositum.

Deutsch lernen mit Vielfalt

Ich bin sicher: Im Volkspark Rehberge, der ja selbst aus zwei Komposita besteht, werde ich auf Kombinationsmöglichkeiten aller Art treffen – manchmal treffe ich dort sogar einen rauflustigen (Verb + Adjektiv) Waschbären (Verb + Substativ), der die moosgrünen (Substantiv + Adjektiv) Mülleimer (Substantiv + Substantiv) inspiziert – besser, als wenn er die blassblauen (Adjektiv + Eier) des Rotkehlchens (Adjektiv + Substantiv) stiehlt…

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Umgangssprache lernen mit geiler Mucke

Beim letzten Mal ging es hier um kuriose deutsche Wörter. Besonders kurios sind im Deutschen Tiernamen: Schmetterling, Eichhörnchen – Tiere, nach denen man Panzer benennen könnte, wenn es dabei nur um phonetische Aspekte ginge. Ein wirklich bösartiges Tier dagegen ist der Ohrwurm.

All on board Ohrwurm

Streng genommen ist der Ohrwurm gar kein Tier, sondern nur eine Tiermetapher. Ein Ohrwurm ist ein Lied, das einem einfach nicht aus dem Kopf geht. Ein Lied wie „Last Christmas“. Wahrscheinlich genügt schon der Titel des Songs und ihr werdet die Melodie nicht mehr los – dabei haben wir Juli! Sorry, wenn ihr jetzt den Rest des Tages an George Michael denken müsst. Manchmal ist Didaktik eben brutal.

Umgangssprache in der Popmusik

Ein Ohrwurm, der besser zur Jahreszeit passt, ist „Ab in den Süden“ von DJ Buddy. Das Lied ist schrecklich, aber es enthält viele umgangssprachliche Redemittel, die in keinem Lehrbuch stehen und die ihr im Kopf behalten werdet, wie ihr „Ab in den Süden“ im Kopf behalten werdet.

„Den ganzen Tag am Strand ziehen wir uns die Melonen rein“ ist so ein Beispiel für Umgangssprache. Was bitte machen die mit den Melonen? Nichts Besonderes, sie essen sie. Sich was reinziehen kann auch allgemeiner bedeuten: etwas konsumieren. Auch geile Mucke kann man sich reinziehen. Geile Mucke ist Musik, die gute Laune macht.

„Ab in den Norden“

Ob „Ab in den Süden“ geile Mucke ist, darüber lässt sich streiten. Als der Song 2003 bekannt wurde, war in Norddeutschland eher „Ab in den Norden“ populär – diese Version des Songs hat DJ Buddy freundlicherweise gleich mitgeliefert. Auf verregneten Gartenpartys sangen wir trotzig: „Die Sonne scheint auch hier, ‚ey jo, was geht?‘, im Norden bleiben wir, ‚ey, jo, was geht?‘“

„Was geht?“ heißt ungefähr „Was passiert hier gerade?“ Auf den verregneten Gartenpartys meiner Kindheit wäre die ehrliche Antwort gewesen: „Nix los hier.“ Aber wir versuchten, aus der norddeutschen Tristesse das Beste zu machen. Also sangen wir: „Tequilla, Tequilla, Tequilla, wunderbar, und heute Nacht machen wir die ganze Insel klar.“ Einen Ort klar oder auch unsicher machen, bedeutet, dort wild zu feiern oder von Bar zu Bar zu ziehen.

„Heute Nacht machen wir die ganze Insel klar“ – nun ja, die kleinen Inseln an der deutschen Nordseeküste sind eher ein Seniorenparadies als ein Party-Hotspot. Egal, wir sangen trotzdem: „Ab geht die Party und die Party geht ab!“ Das heißt: Die Party läuft.

Überraschende Entdeckungen in Songtexten

Interessant an dieser Zeile ist die Inversion, also die veränderte Position des Präfixes „ab“ aus dem Verb abgehen. Die Inversion ist ein heute eher veraltetes Stilmittel, das man oft in der Literatur des 19. Jahrhunderts findet. Wie hat sich dieses Stilmittel bloß in DJ Buddys Ohrwurm verirrt? Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Aber es zeigt: In der Popmusik gibt es einiges zu entdecken.

Geht doch auch mal auf eine sprachliche Entdeckungsreise in der Musik. Ob sie nun in den Süden, in den Norden oder vielleicht doch eher zu renommierten deutschsprachigen Rap-Künstlerinnen- und Künstlern wie Sookee, Lady Bitch Ray, Peter Fox oder Danger Dan führt – mit geiler Mucke ist Deutschlernen der Hammer!

Lieblingswörter

Es war einer der ersten richtig warmen Tage des Jahres. An den Gesichtern der Teilnehmerinnen und Teilnehmer meines Kurses sah ich, dass sie an Baden, Grillen, vielleicht auch ein kühles Bier dachten, aber sicher nicht an die deutsche Sprache. „Ja, ja, ich würde jetzt auch lieber in Sommerfrische fahren!“, lachte ich, als ein Teilnehmer sehnsüchtig aus dem Fenster schaute. „Wohin?“ fragte er neugierig. „In die Sommerfrische!“, antwortete ich – und plötzlich hatten wir wieder Lust auf den Deutschunterricht, weil uns das Wort so gut gefiel. Die Sommerfrische ist ein Erholungsaufenthalt. Wer in die Sommerfrische fährt, verlässt die Stadt, um den Sommer draußen in der Natur zu genießen. Freude an interessanten Wörtern kann man nicht nur in der Sommerfrische haben, sondern überall. Deshalb bat ich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer spontan, ihre deutschen Lieblingswörter aufzuschreiben.

Schmetterling

Harter Sound

Deutsch gilt nicht als besonders schön – hart klingt es, für manche sogar aggressiv. Man denke nur an das Worte Schmetterling. Schmettern bedeutet mit Wucht schlagen oder auch laut singen. Das Wort kommt aber von „Schmetten“, althochdeutsch für „Sahne“. Wie der englische butterfly verdankt der Schmetterling seinen Namen also seinem Faible für Milchprodukte. Trotzdem muss man bei dem Wort „Schmetterling“ irgendwie an einen Kampfjet denken.

Doch gerade am Klang mancher Wörter haben viele Lernende Freude. Tatsächlich notierte sogar jemand „Schmetterling“. Zusammen mit Eichhörnchen. Bei dem Wort denkt man vielleicht an ein zischendes Reptil, obwohl man vor diesen niedlichen Tieren wirklich keine Angst zu haben braucht…

Unübersetzbar

Oft sind Wörter auch wegen ihrer spezifischen Bedeutung interessant. Die Schriftstellerin und Aktivistin Sharon Dodua Otoo, deren Muttersprache Englisch ist, liebt zum Beispiel das Wort Auseinandersetzung, also die ernsthafte, manchmal konflikthafte Beschäftigung mit etwas. Sich mit der deutschen Sprache auseinanderzusetzen bedeutet, nicht bloß Vokabeln zu lernen, sondern zum Beispiel darüber nachzudenken, ob man ein deutsches Lieblingswort hat. Und ja, es bedeutet auch, sich über all die seltsamen Deklinationsendungen zu ärgern.

Viele deutsche Wörter lassen sich nur schwer übersetzen. Manchmal sind es ganz alltägliche. Die Lyrikerin Mascha Kaléko, die vor den Nationalsozialisten in die USA floh, hat im Exil ein Gedicht mit dem Titel „Der kleine Unterschied“ darüber geschrieben:

Es sprach zum Mister Goodwill
ein deutscher Emigrant:
„Gewiss, es bleibt dasselbe,
sag ich nun land statt Land,
sag ich für Heimat homeland
und poem für Gedicht.
Gewiss, ich bin sehr happy:
Doch glücklich bin ich nicht.“

Glücklich kann man natürlich mit happy übersetzen. Aber es bleibt eben ein kleiner Unterschied. Für die Dichterin Mascha Kaléko hat er sich verdammt groß angefühlt. Sie hatte furchtbar Heimweh.

Zu Heimweh gibt es übrigens ein schwer zu übersetzendes Pendant: Fernweh. Deutschland ist eine Reisenation. Egal, wie weit man reist, ein paar Deutsche mit Trekking-Schuhen trifft man garantiert. Wer zu Hause bleiben muss, sehnt sich nach der Ferne. Er hat Fernweh.

Kraftausdrücke und Ausdrücke, die Kraft geben

Wie man sich mit Elan auf Deutsch ausdrücken kann

backpack

Eigentlich kann ich mich nicht beklagen. Wenn gerade mal das Internet funktioniert, habe ich es im Homeoffice ganz nett. Ich trinke Kaffee, kreiere lustige Akkusativ-Übungen und schreibe hin und wieder einen Blog-Post. Trotzdem, die Zeiten könnten besser sein: Immer noch nicht genug Impfstoff, immer noch Lockdown, immer noch Angst, sich irgendwo zu infizieren. Und das Wetter ist auch scheiße. Ups, habe ich scheiße gesagt?

Kraftausdrücke im „Land der Dichter und Denker“

Wenn man sich ärgert, spricht man eben meistens nicht in geistreichen Zitaten – auch nicht in Deutschland, dem „Land der Dichter und Denker“. Klar, wir alle haben als Kinder gelernt, dass man keine bösen Wörter benutzen soll. Aber manchmal muss der Frust einfach raus, verdammte Scheiße! Deshalb gibt es für böse Wörter im Deutschen auch einen sehr schönen Begriff: Kraftausdrücke. Das klingt nicht verboten, sondern vital.

Kraftausdrücke können sogar zu Poesie inspirieren. Als ich Kind war, brachte mir meine Oma Verse bei, in denen es, nun ja, um Scheiße ging. Bei der Recherche für diesen Eintrag habe ich herausgefunden, dass Scheiße-Sprüche sogar ein eigenes Genre sind. Meine Oma gab am liebsten diesen hier zum Besten: „Scheiße in der Kuchenform / ändert den Geschmack enorm.“

Meine Kolleginnen von All on Board fragten mich, ob dieser Spruch eine tiefere Bedeutung habe. Ich habe mal Germanistik studiert, müsste also eigentlich in allem, was sich reimt, irgendetwas Tiefes erkennen. Die Verse zur Scheiße in der Kuchenform sind aber definitiv nicht fürs Germanistik-Seminar gedacht. Es geht da nicht um Tiefe, sondern um das kreative Spiel mit der Sprache.

Faust

Vulgärer Spaß

Nicht nur meine Oma fand Kraftausdrücke lustig, es gibt ziemlich viele Menschen, die daran ihre Freude haben. Interkulturelle Begegnungen machen zum Beispiel besonders Spaß, wenn man sich über Kraftausdrücke aus verschiedenen Sprachen unterhält. Auf diese Weise habe ich schon viele heitere Abende verbracht.

Dabei hat sich immer wieder gezeigt, dass vulgäres Deutsch viel weniger sexuelles Vokabular enthält als die meisten anderen europäischen Sprachen. Deutsche Kraftausdrücke stammen vor allem aus dem analen Bereich. Oder, wie es der Sprachwissenschaftler Hans-Martin Gauger formuliert: „Wir sind, auf Deutsch gesagt, klar und beharrlich auf der Scheiße-Linie.“

Das wohl beliebteste deutsche Schimpfwort ist folgerichtig „Arschloch“. Ein befreundeter Jurist erzählte mir neulich, im Durchschnitt breche ein deutscher Bürger einmal täglich das Gesetz. Das könnte auch an dem Wörtchen „Arschloch“ liegen. Es wird ziemlich oft benutzt – aber man kann eine Anzeige wegen Beleidigung bekommen, wenn man jemanden so nennt.

Mir würden übrigens schon noch härtere Beleidigungen einfallen, auch sexualisierte, aber leider wir sind eine seriöse Sprachschule, deshalb verrate ich sie euch nicht.

Ausdrücke, die Kraft geben

Doch vielleicht braucht ihr ja gerade auch gar keine Kraftausdrücke, sondern eher Ausdrücke, die Kraft geben. Motivierende Sätze, Sätze wie: Es gibt Licht am Ende des Tunnels. Das Licht steht für Hoffnung. Dass es Licht am Ende des Tunnels gibt, kann zum Beispiel bedeuten, dass wir uns irgendwann doch endlich impfen lassen können.

Bis dahin heißt es: Abwarten und Teetrinken. Tee wirkt beruhigend, wer Tee trinkt, lässt sich nicht so leicht stressen. Immer mit der Ruhe, mag er sich denken. Oder: Wird schon schiefgehen. „Schiefgehen“ heißt eigentlich misslingen, scheitern, ohne Erfolg sein – doch wenn man sagt: „Wird schon schiefgehen“, meint man das Gegenteil. Die Deutschen sind nicht gerade berühmt für ihren Humor, aber diese ironische Formulierung ist fest etabliert.

„Haltet die Ohren steif!“

Auch sehr schön: Halt die Ohren steif! Das heißt ungefähr: Verlier den Mut nicht, bleib stark! Nicht immer leicht…

Trotzdem: Haltet die Ohren steif! Verzweifelt nicht an Corona und nicht an der deutschen Sprache. Übrigens: In Corona-Zeiten gibt es bei uns auch Online-Deutschkurse. Ihr könnt während der Sessions auch gerne Tee trinken.

Berlin im Film – eine cineastische Annäherung an die deutsche Sprache

Deutschlernen mit Filmen – im Kino oder zu Hause

Ob wir bald wieder ins Kino gehen können? Wir hoffen es sehr. Zunächst aber bleibt es wohl beim Heim-Kino. Schade, denn nirgendwo schmeckt das Popcorn so gut wie im echten Kino.

Doch auch der Filmabend zu Hause hat einen Vorteil: Wir bestimmen selbst das Programm. Deshalb stellen wir euch hier drei Filme über Berlin vor, die uns in den letzten Jahren begeistert haben.

Wie die Filme sind? Das machen die blau gedruckten Adjektive deutlich, typische Adjektive für Rezensionen. Zu den fett gedruckten Adjektiven gibt es noch eine Erklärung. Natürlich handelt es sich um positive Adjektive – denn wir empfehlen euch nur Filme, die wir wirklich gut finden.

Victoria (2015)

Kurz gefasst: Victoria heißt „Siegerin“ – doch die junge Spanierin Victoria, die es in diesem Film nach Berlin verschlagen hat, ist  eher eine Loserin. Ihren Lebenstraum, Pianistin zu werden, konnte sie nicht verwirklichen. Stattdessen jobbt sie in einem Café. In einer Clubnacht lernt sie vier „echte Berliner“ kennen: Sonne, Boxer, Blinker und Fuß. Als sie und die neuen Bekannten in einen Banküberfall verwickelt werden, wird die Berliner Nacht zum Abenteuer.

Empfehlenswert: Der Film ist sprachlich schlicht, aber ästhetisch anspruchsvoll. Eine einzige Kameraeinstellung wird über zwei Stunden durchgehalten. Das ist gewagt – man könnte auch sagen: ziemlich abgedreht. Dennoch (oder gerade deswegen) waren sich Filmkritik und Publikum einig: Victoria ist einfach überwältigend.

gewagt – speziell. Ein gewagtes Projekt ist ein nicht unbedingt ein gutes Projekt – es kann auch einfach verrückt sein. Ist es nun verrückt oder mutig, einen Film ohne Schnitte zu drehen? Gewagt ist es auf jeden Fall!

überwältigend – grandios, absolut beeindruckend. Wenn die eher nüchterne deutsche Filmkritik von einem Film überwältigt ist, ist der Film wahrscheinlich wirklich überwältigt.

Good bye Lenin (2003)

Kurz gefasst: Ost-Berlin 1989: Während die politische Führung der DDR den vierzigsten Geburtstag der Republik feiert, beginnt diese, sich aufzulösen. Keine leichte Zeit für die Christiane Kerner, eine überzeugte DDR-Bürgerin. Als sie sieht, wie ihr erwachsener Sohn Alex von Polizisten auf einer Demonstration verhaftet wird, fällt sie ins Koma. Nach sechs Monaten erwacht sie wieder. Nun muss ihr jede Aufregung erspart werden – dumm nur, dass in Deutschland gerade die größten Veränderungen seit 1945 im Gange sind.

Alex will seiner Mutter die Illusion erhalten, es sei nichts weiter passiert – und kommt auf die verrücktesten Ideen, als er versucht, für seine Mutter in der gemeinsamen 79 qm-Wohnung die DDR zu erhalten.

Empfehlenswert: Der Film ist reich an historischen Anspielungen, voll von authentischem Bildmaterial und satirischen Bezügen auf den ideologischen Jargon der DDR-Elite. Lebendiger kann Geschichte sein.

Doch keine Sorge: Nicht nur für Geschichtsstudenten ist Good bye Lenin sehenswert! Mit seinen mal skurrilen Szenen und sympathischen Charakteren ist dieser warmherzige Film kurzweilig – auch wenn man mal was nicht versteht.

skurril – seltsam, bizarr. Wenn Alex 1990 holländische Gurken in alte Gläser aus der DDR umfüllt, ist das ziemlich skurril.

warmherzig – freundlich, voller Menschlichkeit. Filme, die als warmherzig beschrieben werden, sind oft einfach sentimental. Okay, ein bisschen sentimental ist auch Good bye Lenin. Aber mir wird so warm ums Herz bei diesem Film, dass ich ihn lieber „warmherzig“ nenne…

 Oh boy (2012)

Kurz gefasst: Einen richtigen Plot hat dieser Film eigentlich nicht. Er braucht aber auch keinen. Wir begleiten Nico, einen jungen Loser, auch ohne Plot unglaublich gerne durch Berlin – in seine neue Wohnung, zum Psychiater, auf den Golfplatz, ins Theater, in die Bar. Wir lernen seinen Nachbarn kennen, seinen besten Kumpel, seinen Vater, eine ehemalige Mitschülerin, Dealer, Schauspieler, Tänzerinnen… Der Film ist schwarz-weiß – doch die Welt, die er uns eröffnet, ist so bunt wie Berlin.

Empfehlenswert: Zu Oh boy fallen mir sehr viele Adjektive ein: Der Film ist humorvoll, melancholisch, abgründig, manchmal herzzerreißend, manchmal urkomisch – aber es hilft nichts: Ihr müsst ihn selber sehen!

abgründig – geheimnisvoll. Kunst muss in Deutschland irgendwie immer abgründig sein – manchmal ist sie deshalb einfach prätentiös. Bei Oh boy ist das etwas ganz anderes!

herzzerreißend – bewegend, Mitleid erweckend. Tom Schilling, der Nico spielt, kann unglaublich traurig gucken. Sein Blick ist einfach herzzerreißend!